Und sie haben doch kurze Beine: Wahlwiederholung kommt
Ein Geschenk für die Demokratie: Die Verwaltung darf den Rat nicht belügen. Dass die Ratswahl wiederholt werden muss, dürfte seit Donnerstag an niemandem in Dortmund vorbeigegangen sein. Die Chronologie der Ereignisse kann man nachlesen, ebenso unsere Meinung dazu und die der anderen auch. Doch bei der Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster waren nur die wenigsten dabei, die schriftliche Urteilsbegründung steht noch aus (vorerst nur die Pressemitteilung des Gerichts). Umso interessanter also, die Argumentation der Richter nachzuverfolgen.
> „Demokratie ist ein hohes Gut. Und wir operieren hier am offenen Herzen der Demokratie.“ So hob OVG-Vizepräsident Dieter Kallerhoff gleich zu Beginn der Verhandlung hervor, wie wichtig dieser Fall ist.
>
Kallerhoff rekonstruierte: Am 14. August hatte Annette Littmann von der
FDP nach der Haushaltslage der Stadt Dortmund gefragt. Nun war aber
offen, ob die schriftliche Antwort
des damaligen Oberbürgermeisters Gerhard Langemeyer vom 26. August
schon vor der Wahl im Haushaltsausschuss angekommen war:
Verwaltungsintern ließen sich dafür keine Belege finden. Doch just wir
GRÜNE hatten darauf schon am 27. August 2009 mit einer Pressemitteilung reagiert.
>
Richter Kallerhoff argumentierte: Das Haushaltsrecht ist das originäre
Recht des Rates. Der Oberbürgermeister muss deshalb wahrheitsgemäß
antworten, wenn er gefragt wird. Er darf nicht interpretieren oder
bewerten.
>
Er darf auch keine Fakten zurückhalten, selbst wenn sie mit
Unsicherheiten behaftet sind. Das Gericht hatte verschiedene Prognosen
über ein drohendes Haushaltsloch zusammengetragen – zwischen 20 und 100
Millionen Euro schwankte das Defizit intern in den Monaten vor der Wahl.
Langemeyer argumentierte dennoch, alles laufe planmäßig und
interpretierte die Zahlen: Der Haushalt ist sicher.
> Gleichzeitig hatte Langemeyer aber am 11. August seine Kämmerin Uthemann aufgefordert, eine Haushaltssperre vorzubereiten, weil er mit 23,4 Millionen Euro Defizit rechnete. Eine Haushaltssperre aber ist ein tiefer Eingriff in die Verwaltung und hebelt das Haushaltsrecht des Rates aus. Sie ist nur möglich, wenn der Haushalt massiv gefährdet ist: bei einem HaushaltsNOTSTAND.
Also: Einerseits teilte Langemeyer dem Rat mit, dass sich Einnahmen und Ausgaben planmäßig entwickelten. Andererseits bereitete er verwaltungsintern eine Haushaltssperre vor. Insoweit hat er Rat und Öffentlichkeit belogen – genau bei dem Thema, das den Wahlkampf beherrschte: bei den städtischen Finanzen.
> Jetzt könnte man fragen: War das denn relevant für das Wahlgeschehen? Die SPD-Kläger erzielten schließlich alle ein sehr sicheres Direktmandat. Das Gericht argumentierte: Es geht hier nicht darum, ob einzelne Abgeordnete mit der Erststimme 15 Prozent mehr oder weniger erringen. Sondern es geht hier um das stadtweite Wahlergebnis. Da bedeuten wenige Prozente große Unterschiede.
> Wenn Langemeyer wenige Tage vor der Wahl nicht gelogen, sondern die Wahrheit gesagt hätte, wären die anderen Parteien sofort darauf angesprungen: Sie hätten die SPD als unfähig dargestellt im Umgang mit Geld. Und auf die desolate Haushaltssituation anderer Ruhrgebietskommunen hingewiesen. Verwaltung oder SPD hätten nicht mehr gegensteuern können. In dieser Art könnte man trefflich spekulieren, wie stark das auf das Wahlergebnis gewirkt hätte.
Doch ist das gar nicht die Frage: Für das Gericht war allein entscheidend, ob nach allgemeiner Lebenserfahrung davon auszugehen war, dass WählerInnen sich möglicherweise anders entschieden hätten, wenn sie von der desolaten Finanzsituation gewusst hätten. Dies hat das Oberverwaltungsgericht bejaht. Daher muss die Kommunalwahl wiederholt werden.
Noch ein paar Fragen zum Schluss
--> War das überhaupt wichtig?
Das Urteil gewinnt landesweite Bedeutung: Das Verhältnis zwischen Rat und Verwaltung wird sich ändern. Denn jeder Oberbürgermeister wird nun sehr präzise und gewissenhaft antworten, wenn die Politik fragt.
--> Wann wird jetzt gewählt?
Einen Monat nach der schriftlichen Urteilsbegründung (die steht noch aus) wird das Urteil rechtskräftig. Bis dahin könnten die SPD-KlägerInnen überlegen, gegen die Nicht-Zulassung der Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht zu klagen. Wenn sie keine Beschwerde einlegen, dann muss die Wahl innerhalb von 4 Monaten wiederholt werden. Also ungefähr im Mai oder Juni 2012.
-> Wie wird gewählt?
Es ist eine echte Wiederholung: Die WählerInnen wählen wieder zwischen denselben Parteien und denselben KandidatenInnen. Die Parteien können ihre Listen nur ändern, wenn KandatInnen gestorben, umgezogen oder aus der Partei ausgetreten sind.
--> Und wer rechnet sich nun Chancen aus?
Es gibt eine Partei, die seitdem extrem an Wählergunst verloren hat. Alles andere ist Kaffeesatzleserei. Die rot-GRÜNEN Koalitionsgespräche scheiterten damals, weil die SPD die Wahllüge nicht ausklammern wollte.
--> Könnte man auf die Wahl verzichten, wie es der CDU-Fraktionsvorsitzende Monegel vorschlug?
Nein. Der Rat kann seinen eigenen Beschluss über die Wahl nicht rückgängig machen. Insbesondere da gerade das Oberverwaltungsgericht entschieden hat, dass die Wahl wiederholt werden muss. Und im Übrigen sind faire Wahlen keine Beliebigkeit, sondern Grundpfeiler unserer Demokratie.
--> Was ist mit den Bezirksvertretungen, da wurde doch auch gegen die Wahlwiederholung geklagt?
Diese Verfahren sind noch beim Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen anhängig. Doch wahrscheinlich haben sich diese mit dem OVG-Urteil jetzt erledigt.
--> Wer zahlt die Kosten des Verfahrens?
Die SPD-KlägerInnen persönlich, zusammen 150.000 bis 180.000 Euro. Sie waren davon ausgegangen, dass es sich um eine Organklage handelt. Dann hätte die Stadt in jedem Fall die Anwalts- und Gerichtskosten der unterlegenen Partei erstatten müssen. Aber das hat das OVG mit Nachdruck verneint: Es handelt sich bei dem Klageverfahren um eine ganz normale Wahlanfechtung, so der Vorsitzende Richter Dieter Kallerhoff. Die Anwalts- und Gerichtskosten aus der ersten Instanz, die der Kämmerer der SPD erstattet hatte, müssen nun zurückgezahlt werden (Wir berichteten über diese märchenhafte Trickserei in einem Newsletter). Auch über die SPD-Fraktionskasse dürfen sie die Klagekosten nicht finanzieren. Das teilte die Arnsberger Kommunalaufsicht inzwischen auf unsere Anfrage mit.
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