Grüner Newsletter aus dem Rat der Stadt Dortmund

Sonntag, 20. November 2011

Loose-Loose-Lösung in Asseln und Wickede – Lärm im Ort und Lärm im Freiraum

 

Umgehungsstraßen leiten den Verkehr um den Ort. Im Ort ist es herrlich ruhig und in der Umgebung rauscht der Verkehr. Aber was nutzt eine Umgehungsstraße, wenn der meiste Verkehr in den Ort will oder von da herkommt? Gar nichts. Doch Ortsumgehung klingt immer noch nach Fortschritt. Und den wollen ja alle.

Schauen wir uns die unsinnige Geschichte der OW IIIa oder L 663n in Asseln und Wickede an. Wer sich nur für die GRÜNE Position 2011 interessiert, setzt bei der Überschrift „Sahnetorten für Übergewichtige“ ein.

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80 Jahre alte Verkehrsplanung

 

Die Planungen für die OW IIIa sind alt. Sehr alt. Schon in den 1920er-Jahren plante der „Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk“ (heute Regionalverband Ruhr) die Schnellstraßen der Region. Eifrige Verkehrspolitiker der großen Parteien arbeiten bis heute das Raster ab, das die Planer damals über die Städte legten. Die NS IX (Nord-Süd-Straße 9) wird gerade zwischen Dorstfeld und B1 westlich der Schnettkerbrücke weitergebaut, aus der NS X wurde die B 236n. Die OW IV heißt heute A 40/ B1. Die OW III heißt A42 wurde in Dortmund nie weitergebaut (man erkennt die Trasse noch auf dem Stadtplan als freigehaltenen Grünstreifen südlich von Mengende). Dafür legte man später eine OW IIIa zwischen III und IV: Von der A45 (NS VIII) im Westen führt sie vierspurig und autobahnähnlich  in die Mallinckrodtstraße, quält sich über den Borsigplatz  und verlässt durch die kleinste Umweltzone der Welt an der Brackeler Straße wieder die eng bebaute Stadt. Erneut vierspurig und autobahnähnlich rauscht der motorisierte Individualverkehr am Knoten mit der B236 n (wir erinnern uns: NS X) vorbei bis zur Asselner Straße.

Ein Autofahrer-Unwohlsein über eine Schnellstraße, die an einer anderen Straße endet (na sowas!), mischte sich nun mit dem Verkehrslärm, den AnwohnerInnen des Hellwegs in Asseln und Wickede selbst produzieren und dann ertragen müssen. So einfach entstand der Wunsch zum Weiterbauen: Im Flächennutzungsplan von 1976 ist die Trasse eingetragen.

 

2003 beschloss der Rat im Eilverfahren die „Variante 4-Nord“: Die OW IIIa, hier heißt sie auch „L 663“, sollte nördlich von Asseln und Wickede weitergeführt werden und in Unna nördlich der S-Bahn weiter bis zur (ebenfalls nur geplanten) Westtangente hinter der A1.

 

  • Der Ratsbeschluss beachtete besonders, wie sich der Verkehr ändern würde, und suchte die Varianten mit der größten Entlastung für den Hellweg.


  • Danach wurden die Varianten aussortiert, die die Nachbarstadt Unna nicht wünschte.

  • Und ganz zum Schluss wurden schließlich auch Landschaftsplanung und Städtebau betrachtet. 

 

Hätten die Gutachter die Landschaftsplanung als Erstes oder gleichrangig mitbetrachtet, wäre eine Südvariante viel günstiger: von der Aplerbecker Straße südlich um Asseln herum und weiter am Flughafen entlang auf dem Osterschleppweg. Das wäre auch nicht ungewöhnlich: Denn schon 1988 ging ein Gutachten im Auftrag der Stadt Dortmund  genau so vor und zeigte: Die Südvariante ist besser (Dank an Thomas Quittek für viele wertvolle Hinweise!).

Nach dem Ratsbeschluss 2003 und einem ähnlichen Beschluss in Unna nahm Straßen.NRW das Vorhaben in den Integrierten Gesamtverkehrsplan Nordrhein-Westfalen auf.

 
Die Einzelbetrachtung der gewünschten Nord-Variante berechnete für 2005: Der Abschnitt zwischen dem derzeitigen Ende der OW IIIa und der Dortmunder Straße würde 9,5 Millionen Euro kosten, 19.200 Fahrzeuge würden ihn täglich nutzen, östlich der Wickeder Straße immerhin noch 12.000. Auf dem Hellweg in Asseln würden statt 13.000 nur noch 7.000 Fahrzeuge täglich fahren.


In der Prognose für 2015 erwartete das Planungsamt westlich der Wickeder Straße 27.410 Kfz täglich, östlich davon 21.580. (Anlage 4) Dafür müsste man sogar vierspurig bauen! Ohne OW IIIa erwartete man in Asseln und Wickede jeweils über 22.000 Fahrzeuge. (Anlage 2)

Das war im Dezember 2005.

Die OW IIIa stand in der „Landesstraßenbedarfsplanung“ als vordringlich. Im Dortmunder Koalitionsvertrag hatten wir mit der SPD vereinbart, dass wir nichts aus der Dortmunder Verwaltung für eine Verlängerung der OW IIIa tun würden. So passierte lange Zeit nichts. Auch die schwarzen und gelben Straßenbauer-Parteien im Land bauten erstmal andere Straßen, banden viel Geld andernorts bis ins Jahr 2013.

 

Sahnetorten für Übergewichtige?


2008 zählte die Stadt Dortmund den Verkehr routinemäßig im Stadtbezirk Brackel (die Verknüpfung vom Server der Stadt Dortmund ist tot, deshalb hier und für die Anlage hier klicken, nochmals vielen Dank an Thomas Quittek!) – und siehe da: Der Verkehr auf dem Hellweg nahm seit der letzten Zählung 1999/2000 ab! In Brackel sofort vorstellbar wegen der Verlängerung der OW IIIa bis vor Asseln. Doch auch in Asseln sank der Verkehr um 11 Prozent, in Wickede sogar um 20 bis 23 Prozent. Wie kommt denn das – ohne neue Straße und bei einem allgemein angestiegenen Verkehrsaufkommen?

  • Im Stadtbezirk Brackel lebten weniger Menschen, 3 Prozent auf den ganzen Bezirk bezogen, in Wickede sogar 7 Prozent weniger.

  • Der demografische Wandel setzte ein: Mehr Alte fahren weniger, und vor allem weniger Auto.

  • Die Wirtschaftskrise (welche von den vielen jetzt genau, mag man fragen) führt auch in Brackel zu mehr Arbeitslosen.

  • Und schließlich legen die Menschen insgesamt mehr Wege zu Fuß, mit dem Rad oder mit Bus und Bahn zurück. Die Brackeler zeigen sich hier sogar überdurchschnittlich umweltbewusst. Positive Effekte durch die fertige Ost-West-Verbindung mit U 43 und U 44 sind hier noch gar nicht erfasst.


Wenn das nun so ist – warum sollte man da eine neue Straße bauen? Das wäre, als ob man einem Übergewichtigen Sahnetorte vorsetzt. Wobei schwer zu erkennen ist, welcher Verkehr auf der Nord-Variante fahren sollte. Denn etwa vier Fünftel des Verkehrs auf dem Hellweg in Asseln und Wickede kommen aus Asseln und Wickede oder wollen dorthin. Ortsumgehung meint etwas anderes. Auch müsste man den Verkehr auf dem Hellweg verlangsamen, damit die neue Straße einen attraktiven Vorteil darstellt. Wollen 80 Prozent der Asselner und Wickeder wirklich verkehrsberuhigt durch ihren Stadtteil fahren?

Und wenn man diese Zählung von 2009 (10.000 bis 15.000 Autos auf dem Asselner Hellweg und 13.000 Autos auf dem Wickeder Hellweg) mit der Prognose aus dem Jahr 2005 für 2015 vergleicht (siehe oben, je 22.000 Autos in Asseln und in Wickede), dann denkt man doch: Bitte, bitte, bitte die Prognoserechner mit einer aktuellen Verkehrszählung füttern, bevor hier Bagger rollen sollen!

 

Neues im Herbst 2011


Nun legte die Landesregierung eine neue „Landesstraßenbedarfsplanung“ vor. Wir GRÜNE hatten in der Koalition mit der SPD darauf gedrungen, die OW IIIa aus dem Plan zu streichen, und eine neue Verkehrspolitik ist auch sichtbar: Von 170 Bauvorhaben schrumpfte die Liste auf 96. Doch leider: Die OW IIIa ist weiterhin drin – zumindest das Teilstück auf Dortmunder Gebiet. Nur die Verlängerung nach Unna flog raus. Doch dort würden auch 14,1 Millionen Euro in eine Straße verbaut, auf der nur 1.600 Fahrzeuge am Tag führen.


Die Landesregierung konzentrierte sich übrigens auf die Verbesserung vorhandener Straßen; Neubauten blieben nur im Plan, wenn sie vor Ort akzeptiert sind und sich einfach durchsetzen lassen. Wenn sie sich da mal nicht vertan hat. Die Bürgerinitiative „Schützt unseren Freiraum“ (BISuF) hat schon 900 Mitglieder. Bei einer Protestveranstaltung am 12. November sammelten sie innerhalb einer Stunde 450 Unterschriften, die Liste findet sich hier.


Daraufhin machten sich die SPD-Landtagsabgeordneten und KommunalpolitikerInnen auf den Weg, um trotzdem einen Weiterbau der gesamten Strecke durchzusetzen. Dafür müssten sich die betroffenen Städte zu einer gemeinsamen Planung zusammenfinden. Doch wer übernimmt dann die Kosten für einen Weiterbau auf Unnaer Gebiet? Für das Land ist dies nicht vordringlich und warum sollte es dann zahlen? Bleiben die immensen Kosten für diese Natur- und Freiraumzerstörung dann bei den beteiligten Städten hängen? Und haben diese Städte nicht viel wichtigere Aufgaben, die mit diesen Geldern zu finanzieren wären – zum Beispiel den Ausbau der Kinderbetreuung?


Zumal das Land gar kein Geld für den Straßenbau übrig hat. Der Landesstraßenbaubetrieb Straßen.NRW schiebt einen Schuldenberg von 51 Millionen Euro für Ausbauplanungen der abgewählten schwarzen-gelben Landesregierung vor sich her, die bis zum heute nicht gegenfinanziert worden sind. Für den Ausbau der Bundesfernstraßen will die Bundesregierung die NRW-Mittel von jährlich 310 Millionen Euro bis auf 132 Millionen Euro absenken. Für die Planung der jetzt priorisierten Landesstraßen findet sich kein Geld im Landeshaushalt, geschweige denn für den eigentlichen Bau der Straßen. Warum also sollte man die Planung für eine nie finanzierbare Straße vorantreiben?

 

Na gut: Was würde die OW IIIa denn bringen?


Wer je auf den Feldern zwischen Asseln, Wickede und Kurl war, der weiß: Da ist nichts, und das soweit das Auge reicht. Freiraum eben. Stille und Weite. Äcker, Wiesen und der Pleckenbrinksee mit 100 verschiedenen Vogelarten. Die Straße würde das zerstören, die Artenvielfalt leiden, Stille und Weite wären dahin. Eine vierspurige Straße würde auch gar nicht in die Enge zwischen Wickeder Ostholz und Baedekerstraße passen.


Der Verkehr auf der Dortmunder Straße am Schulzentrum Dollertsweg würde gefährlich zunehmen.


Der Verkehr am Hellweg würde abnehmen. Das wäre gut für alle, die dort wohnen. Patrick Reigers von BISuf rechnet mit aktuell 22.000 Fahrzeugen auf dem Hellweg; durch einen Neubau der OW IIIa würde sich dies um nur ein Viertel reduzieren.


Um doch noch einen Umwelt-Aspekt an den Asphalt zu kleben, schlug die SPD vor, die restlichen Flächen in einem großen Naturschutzgebiet zu schützen. Wie absurd das ist, erklärten wir in der vergangenen Woche.

 

Wie geht es weiter?

 

Straßen.NRW beschreibt den Weg vom Wunsch zur Straße in NRW: Als nächster Schritt der Verkehrsplanung folgt nun ein Linienbestimmungsverfahren, in dem ein genauer Straßenverlauf ermittelt werden soll. (Google Maps kennt den Verlauf aber schon jetzt) Die Behörde – oder die beteiligten Kommunen, sofern sich in den Räten dafür eine Mehrheit findet – stellt einen Entwurf her; dann folgen Planfeststellungsverfahren, Ausführungsplanung und Bau. Sowohl im Linienbestimmungsverfahren als auch im Planfeststellungsverfahren können alle Betroffenen Einsprüche erheben. Diese sind sorgfältig zu prüfen und abzuwägen. Dabei würde sich dann hoffentlich für alle zeigen, was jetzt schon auf der Hand liegt: Die OW IIIa/L 663n weiterzubauen ist einfach Unsinn.


Schöner wäre es, die Politik nähme die Straße schon jetzt aus der Bedarfsplanung. Schöner wäre es auch, wenn die beiden Beton- und Asphaltfraktionen SPD und CDU endlich Klimawandel und Lärmschutz ernst nähmen und sich von diesem unsinnigen Projekt verabschiedeten. Statt dessen verschleudern sie Zeit und Geld in eine Planung, die den Stadtteil verlärmen und den wertvollen Landschaftsraum zerstören wird. Und dagegen wehren sich die Leute vor Ort. Zu Recht, wie wir meinen. 

 

 

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